„Welcome to Canada.“ Die Grenzbeamtin reicht mir meinen Pass. Ich klappe ihn auf und nun ist es amtlich, der ovale Stempelabdruck beweist es: „Work Permit“ steht darin. Für ein Jahr darf ich hier leben und arbeiten. Hier stehen wir nun im Büro des Kapitäns – die uniformierte Kanadierin, ihr Kollege und ich.
Eine Minute lang bin ich glücklich, dann ist die innere Unruhe wieder da, die mich seit ein paar Tagen gepackt hält – seit mir klar wurde, dass ich die Atlantic Sea bald verlassen werde. Bisher bin ich wohl behütet von 23 Seemännern unterwegs gewesen. Zuletzt hatte ich nur den Weg zum Esstisch und zurück zu meiner Kabine finden müssen. Nun muss ich den Weg hinausfinden in mein neues Leben. Ich weiß nur eines: Der Hafen liegt nicht mitten in der Stadt. Wie ich dorthin komme, ist noch ein Geheimnis. Ich hatte kein Internet an Bord, die ersten Nächte in einem Hostel hat mein Bruder für mich gebucht. Ich konnte nichts organisieren. Ich muss mich durchfragen.
Ich schnalle mir den Rucksack um, nehme den Pass und folge den beiden Grenzbeamten, die wiederum einem der Seemänner folgen. Es geht durch das Labyrinth im Schiffsbauch, durch lange Gänge und mit zwei unterschiedlichen Fahrstühlen hinab – bis wir auf der Rampe des Schiffes stehen. Hinter uns liegt der Laderaum der Atlantic Sea – so groß, dass man ein Einfamilienhaus darin bauen könnte. Vor uns liegt Kanada. So groß, dass noch Platz für ein paar weitere Einfamilienhäuser wäre. Ein Mann steigt aus einem Pickup und kommt auf uns zu. Hafenarbeiter Jerry hat die Aufgabe, mich zum Ausgang des Hafens zu bringen – und er weiß auch, wie ich von dort aus weiterkomme.
Kein zehn Minuten später stehe ich an einer Bushaltestelle an der Straße. Und Jerry hat sich kaum verabschiedet, da kommt auch schon die zitronengelbe „211“ herangesaust. Die Tatsache, dass ich hundert kanadische Dollar im Portemonnaie habe, gibt mir Sicherheit, doch sofort lerne ich, dass ich mit meinen Scheinen nicht weiterkomme. „Sorry, we just take coins“, sagt der Fahrer. „Sorry. I don´t have coins”, sage ich. „I just arrived in Canada.“
„No worries, take a seat“, sagt der Fahrer und lächelt. Ich bin erleichtert. Oder auch nicht. Das Gewicht meines Rucksacks zieht mich auf den nächstbesten Sitz.
Eine Frau tippt mir auf die Schulter. „Falls Du umsteigen musst: Nimm die hier.“ In ihrer Hand glänzen drei Münzen. Ein Mann schaltet sich ein. „Nein, sie muss nicht umsteigen.“ Kurz diskutieren die beiden über meine Marschroute. „Ok, nimm sie trotzdem“, sagt die Frau.
„Behalt die mal“, sagt der Fahrer, als ich ihm beim Aussteigen meine eben erst geschenkt bekommenen ersten kanadischen Coins geben will. „Take care.“ Ich bedanke mich bei ihm – und in Gedanken bei meinem Bruder, dafür, dass das Hostel nur 15 Minuten zu Fuß von der Haltstelle entfernt liegt. Mir ist klar, dass ich für den Weg dorthin trotzdem länger brauchen werde, schwer bepackt wie ich bin.
So wanke ich durch Halifax Downtown und komme aus dem Staunen nicht heraus: Egal, an welche Straße ich komme, noch bevor ich überhaupt am Bordsteinrand stehe, haben die Autos schon lange angehalten und warten geduldig. Die fahren hier so vorsichtig wie Fahranfänger. Noch nicht mal die Taxis sind aggressiv. Ich bekomme langsam das Gefühl, dass die Menschen in diesem Land aufeinander Rücksicht nehmen.
„Welcome to Canada!“