„It´s so great I met you!” Eine Woche lang wird dieser Satz mit mir reisen, eine Woche lang, in der Richard mich ein Stück des Weges begleitet. Metaphorisch, nicht im wörtlichen Sinne. Nicht kontinuierlich, aber immer wieder. Er ist ganz begeistert von seiner neuesten Entdeckung. Mir. „Es gibt nicht viele Leute wie dich hier in Halifax“, sagt er. Du und ich, wir haben viel gemeinsam.“ Richard ist auch weit gereist.

Das erste Mal treffe ich ihn in einem Modellbaugeschäft in Halifax Downtown. Weiß der Geier, was ich da drin wollte. Ich dachte wohl, es sei ein Souvenirladen. Jedenfalls: Wäre dieses Geschäft eine Kirche, seine Worte wären von der Decke widergehallt, so laut rief er: „Oh, that´s beautiful!“, als er meine Containerschiff-Geschichte hörte.

Tattoo und Goldohrring

Und schon hatte ich seine Visitenkarte in der Hand. Zur Sicherheit schlug er gleich vor: „Morgen Vormittag habe ich frei. Wie wäre es, wenn wir uns um zehn Uhr vor der Kirche da draußen treffen und ich Dir die Stadt zeige?“ Er zeigte hinter mich durch´s Schaufenster, ich drehte mich halb um und sah eine Kirche aus weißem Stein. Ich sagte zu.

Meine ersten Treffen mit Richard geraten zum Balanceakt. Ich habe ihn weder über Couchsurfing kennen gelernt, noch über Freunde. Ich habe keinen Beweis dafür, dass ich ihm wirklich trauen kann. Außerdem fällt es mir sehr lange sehr schwer, ihn in eine Schublade zu stecken. Es gibt einfach keine, die passt. Wie auch immer. Richard hat freundliche runde braune Augen, einen Kapitänsbart, trägt eine dunkle Allwetterjacke, eine blaue Wollmütze und helle Stoffhosen. Wenn er mir in einem Café gegenübersitzt, bei einer Außentemperatur von minus zehn Grad, lugt ein blaues Segelschiff unter seinem T-Shirtärmel hervor. Eine goldene Creole ziert sein linkes Ohr.

Schiffe für die United Nations

Richard wirkt nicht wie ein simpler Verkäufer, also gehe ich zu Beginn davon aus, dass ihm der Modellbauladen, in dem ich ihn aufgespürt habe, gehört. Doch nach und nach stellt sich heraus, dass er wirklich Angestellter dort ist. Hatte er nicht gesagt, er sei Schiffsarchitekt? Wenn ich ihn treffe, ist er behangen mit kleinen Umhängetaschen aus Leinen, die schier überquellen und ihm beim Gehen um den runden Bauch hüpfen. In ihnen trägt der 60-Jährige vor allem Büttenpapier mit sich herum, auf das er mit Tusche und Wasserfarbe verschiedene flossartige Schiffe und Hausboote gezeichnet hat. Auch eine schwimmende Station, in der sich Eisbären ausruhen und fressen können, ist dabei.

Richard wird nicht müde, von seinen Projekten zu erzählen. Er möchte die Welt retten. Zumindest ein bischen. Er hat einen Schiffsprototyp entwickelt, der sich beliebig erweitern, umgestalten und nutzen lässt. Das Fundament, so stellt er sich das vor, ist eine Art dickes Floss, das vorne schräg in die Luft ragt. Darauf könnte man Häuser bauen. „Bei Überschwemmungen gehen die dann nicht unter, sondern schwimmen auf der Wasseroberfläche.“ Während er das sagt, hebt Richard das hölzerne Modell, das er selbst gebaut hat, etwas an und lässt es durch die Luft gleiten. Im Bauch dieses dicken Floßes, so stellt er sich das vor, würde sich die gesamte Energieversorgung des Hauses befinden. „Plus einer Entsalzungsanlage für Trinkwasser. Oder man könnte alles mit Erde aufschütten und auf dem Floß Gemüse anbauen.“  

In Gedanken oft in Finnland

Wie seine Taschen quillt Richard schier über, so viele Ideen wirbeln in seinem Kopf umher. Er steht bereits in Kontakt zu den United Nations, in der Hoffnung, dass er mit ihnen gemeinsam das Projekt verwirklichen kann. „Ich habe so viel vom Leben bekommen und ich will mit dem, was ich kann, nun anderen Menschen helfen“, sagt er und strahlt. So ganz klar ist es noch nicht, wie er seine Pläne realisieren kann und wer sie finanziert. „Vielleicht baue ich meine Entwürfe auch für reguläre Kunden und nutze die Einnahmen für die sozialen Projekte“, überlegt er.

Wenn er nicht von seinen Modellen spricht, spricht er von seinen Kindern, die mittlerweile erwachsen sind und in Finnland leben. Mindestens genauso oft spricht er von ihrer Mutter. Seit zehn Jahren ist er nun von ihr geschieden. „Doch wir sind im Guten auseinandergegangen.“ Es ist ihm wichtig, das zu betonen. Er sagt es nicht nur einmal.  

Richard ist der erste Kanadier, den ich treffe. Er ist so furchtbar nett, dass ich misstrauisch werde. Einmal sagt er: „Sei bitte vorsichtig auf Deiner Reise.“ Gleichzeitig jedoch bietet er mir eine Stadtrundfahrt in seinem Auto an. Ist ja lustig, denke ich. Allen anderen gegenüber soll ich vorsichtig sei, aber Dir soll ich trauen? Das erste Mal kann ich sein Angebot noch ablehnen, mir fällt eine Ausrede ein. Doch als ich beim zweiten Treffen vorschlage, nach unserem Cappuccino die Stadt doch einfach zu Fuß zu besichtigen, komme ich aus der Nummer nicht mehr raus. „Dazu ist es viel zu kalt“, sagt Richard und das Dumme ist: Er hat recht. 

Ein Auto voller Ideen

Also gut. Ich schiebe den Kaffeehausstuhl zurück, und lege mir den Schal um die Schultern. Richard ergreift meine schwere Winterjacke und hilft mir hinein. Dann zieht er die eigene an und klemmt sich Laptop, das hölzerne Bootsmodell und einen Atlas unter den Arm.

Eine Minute später stehen wir vor seinem weißen Volvo – 24 Jahre alt. Nicht ganz so alt: Das Bootsmodell aus Holz, das die gesamte Fläche des Autodaches einnimmt. Rückbank und Kofferraum sind ebenfalls belegt mit Kästen, Modellen, Pinseln, Taschen. „Ich muss hier unbedingt mal wieder sauber machen.“ Er hält mir die Tür auf. „Mama meint das auch. Sie schimpft schon.“ Immer wieder spricht er von seiner Mutter, bei der er momentan wohnt. Aber dennoch erweckt er nicht den Eindruck des bemitleidenswerten Nerds, der es nie geschafft hat, zu Hause auszuziehen. Richard hat es, glaubt man all seinen Gesschichten, sehr wohl geschafft, auszuziehen, sogar sehr weit weg: Mit seiner Frau ging er nach Finnland, später mit ihr und drei kleinen Kindern nach Miami, dann nach New York, Halifax, wieder zurück nach Europa. Nun, da er geschieden ist, möchte er noch so viel Zeit wie möglich mit seiner Mutter verbringen. „Mein Vater und sie waren immer für mich und meinen Bruder da. Jetzt möchte ich für sie da sein.“

Wie gesagt, dieser Mensch ist fast zu nett. Er lässt den Motor an und plaudert unentwegt weiter, während ich das Klappmesser in meiner Handtasche öffne. Man weiß ja nie. Springmesser und Pfefferspray haben mir die kanadischen Behörden bei der Einreise weggenommen. Schade eigentlich. Ich verfluche mich selbst, dass ich mich immer wieder in solche Situationen bringe.

Die Fahrt geht los und ich sehe endlich mal mehr von der Stadt als die Waterfront und die uninspirierten Betonbauten der Downtown. Wir fahren durch breite Alleen, jetzt im Winter sind sie kahl. Dann geht es durch die angrenzenden Wohngebiete. Hier stehen zur Abwechlsung auch mal schöne Häuser. Bunt sind sie. Und aus Holz.

Wohnzimmer mit Hafenblick

Richard zeigt mir das Haus, in dem er mit seiner Frau und den Kindern gelebt hat, eines dieser netten Einfamilienholzhäuser. Später hält er auf meinen Wunsch vor dem Unverpacktladen an, der erst vor kurzem eröffnet hat. Als wir aussteigen, mache ich einen Schrit zurück, so heftig bläst der Wind. „Übrigens, hüte Dich in Kanada vor Frostbite!“, ruft er mir zu.

Drei Tage später stehe ich in einem Wohnzimmer mit gigantischem Blick auf den Hafen von Halifax. Ich schaue raus auf’s Wasser und rufe Richard zu: „Da draußen bin ich vor einer Woche auf meinem Schiff angekommen. Hast Du mich nicht gesehen?“ Es ist gemütlich hier drin. Das gelbe Licht von Tischlampen vermischt sich mit dem hereinströmenden Tageslicht. „Oh, it´s so nice to have you here!“ Eine ältere Dame kommt auf mich zu und ergreift mit beiden Händen meine Hand. Über einem pinkfarbenem Rollkragenpullover strahlen mich blaue Augen an, umrahmt von weißen Löckchen. Richards Mutter. Sie wollte mich unbedingt kennen lernen.

Während ich Kuchen kaue und Schokoriegel auswickele erzähle ich Marie von meiner Reise auf dem Containerschiff. Sie will alles wissen und freut sich über meine Fotos. Ich habe an diesem Nachmittag keine einzige Sekunde lang das Gefühl, dass ich erst seit sieben Tagen im Land bin und eigentlich fremd.

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