Und was machst Du hier? Ah, Du bist aus Deutschland. Du bleibst ein Jahr? Aha, Du willst hier arbeiten!?“
Es dauert fünf Sätze, dann sitzt Dan neben mir auf der Couch in der Hotellobby. Eines fällt mir nach zwei Wochen schon auf. Es gibt diese Art Kanadier, die an ihrem Gegenüber extrem interessiert ist und gerne hilft, auch wenn man sie nicht darum gebeten hat – was keineswegs negativ gemeint ist.
An diesem Abend also, draußen fällt der Schnee, hier drinnen sorgen dicker Teppichboden und viktorianische Gardinen für Gemütlichkeit, setzt sich Dan neben mich. Schon hat er den Laptop aufgeplappt. „Kennst Du indeed? Und dann gibt es noch kijiji. Bist Du auf Facebook? Nutzt ihr das in Deutschland auch? Also, da gibt es auch ne Jobseite. Und dann wäre da noch die Seite von der Regierung.“ Nach und nach öffnet er die Fenster an seinem Notebook und wie ein Lehrling mache ich es ihm auf meinem Laptop nach.
Jobberatung in der Hotellobby
„Was willst Du denn arbeiten? Ah, auf einer Ahornsirupfarm?“ Schon googelt er „Ahornsirupplantage“. Dank Googlemaps führt er mich virtuell nach Québec und New Brunswick, kleine rote Punkte zeigen mir meine potenziellen Arbeitsplätze.

Nachdem er der Meinung ist, mir zum Thema Jobsuche alles gesagt zu haben, überlegt er, was er mir in meiner Rolle als Touristin mit auf den Weg geben müsste: Er erzählt von einem Ort, an dem zu Halloween die Eisbären die Menschen in Angst und Schrecken versetzen, angelockt vom Duft der Süßigkeiten. Mittlerweile ist er in einem Erzählstrudel gefangen, der mich schier mitreißt. „Nana… wie?“, frage ich? „Wie heißt diese Kleinstadt mit den Eisbären?“ Doch Dan ist schon bei irgendeinem anderen Ort auf Google maps angekommen, zu dem er mir jetzt irgendetwas erklärt. Vier Mal muss ich noch mal nachhaken, bis ich eine Antwort bekomme. Arrgh!
90-Stundenwoche
Dann erzählt Dan ein wenig von sich. Dass er mal bei einer Firma gearbeitet hat, die Autoteile für VW baut. Dass er deswegen schon mal zwei Wochen lang in Hessen gewesen ist und er beeindruckt war von den alten Häusern dort. Dass er seitdem schon sehr viele Jobs hatte. Er kann irgendwie alles. Hat für Versicherungen Häuser vermessen, mit Autos gehandelt, in der Personalabteilung gearbeitet, in der Marketingfirma seines Vaters mitgeholfen und hatte irgendwann auch mal einen Bauernhof. Schafe, Rinder und Truthähne habe es dort gegeben. „Doch der Hof hat sich nicht gerechnet. Ich musste nebenher noch arbeiten – insgesamt 90 Stunden die Woche.“ Seine beiden Jungs hat er in dieser Zeit kaum noch gesehen, also haben sie die Farm wieder verkauft. Ihr Glück: Hatten sie damals 500.000 Dollar dafür gezahlt, waren die Grundstückspreise mittlerweile ernorm gestiegen. Ihr Besitz war mittlerweile 900.000 Dollar wert.
Dan öffnet Google Street und zeigt mir das Haus, in dem sie jetzt wohnen. Es steht in einer Kleinstadt bei Toronto, zu seiner jetzigen Arbeit braucht er gut eine Stunde mit dem Auto. „Doch das Leben dort ist uns zu schnell, die Menschen nicht freundlich. Wir sprechen nicht mit unseren Nachbarn und sie nicht mit uns.“
Reif für die Insel
Ich schaue ihn von der Seite an. Wie alt er wohl sein mag? Er sieht aus wie Mitte 20. Vielleicht ist er auch schon Anfang 30. Schwer zu sagen. Er hat weiche Züge, wirkt mit seinen aschblonden kurzen Haaren ziemlich durchschnittlich, dabei aber sehr freundlich. Auch wenn er sich auf irgendetwas in seinem Computer konzentriert, lächelt er. Jetzt hat er gefunden, wonach er gesucht hat. Ein Foto von seiner Frau, sich selbst und den Kindern im letzten Sommerurlaub. Sie sitzen auf einem roten Plastikhummer, der irgendwo hier in Charlottetown die Promenade verziert. Damals, das ist jetzt ein halbes Jahr her, haben sie einen Entschluss gefasst: Bis kommenden Juni wollen sie nach Prince Edward Island gezogen sein. Das ist der Grund, warum Dan heute Abend hier bei mir auf dem Sofa sitzt. Er ist am Sonntag angekommen, um Arbeit zu finden.
Als er gelandet ist, hatte er die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch in der Tasche. Seine Strategie: Im Internet nach Unternehmen suchen, in denen er gerne arbeiten würde. Dann hinfahren, nach dem zuständigen Mitarbeiter fragen und ihm seinen Lebenslauf in die Hand drücken. „Ich habe auch einige Firmen angeschrieben und sie informiert, dass ich, in dieser Woche hier bin. Wenn sie interessiert sind, sollen sie sich melden.“ Irgendwie scheint das in Kanada zu funktionieren. Allein heute hatte Dan zwei Bewerbungsgespräche. „Mal sehen, was dabei herauskommt.“ Nervös sei er dennoch nicht, sagt er. „Ich habe schon so viel gesehen… ach, die Jobsuche, das gehört eben auch zum Leben dazu.“
Und wenn er nicht gerade Lebensläufe verteilt, arbeitet er die Liste seiner Frau ab. Sie hat auf einer Immobilienseite all die Häuser zusammengesucht, die ihr gefallen. Dans Aufgabe ist es nun, sie in Augenschein zu nehmen. Er öffnet ein Foto nach dem anderen, zeigt mir Küchen, Terrassen, Kinderzimmer, Außenansichten von verschiedenen Einfamilienhäusern. Immer aus Holz, mal grau, mal weiß, mal auf einem Hektar Weideland stehend, mal im Wald, mal in einem Ort, einmal mit Meerblick. „Das hier hätte ich sofort genommen, aber es ist schon verkauft“, sagt er. Wegen des Hauses bei Toronto macht er sich derweil keine Sorgen. Der Wohnungsmarkt dort ist gerade so crazy. Das sind wir in einer Woche los.“