Aymen. Er ist das Beispiel, wie Immigration in Kanada funktioniert. „Hier kommt kaum keiner unbemerkt rein, rechts, links und über uns ist Wasser und im Norden sind die USA, also geht es nur über den legalen Weg“, hat mir vor kurzem der Afrikaner Arap erklärt, mit dem ich in einem Park in Halifax geplaudert habe. „Deswegen gibt es kaum illegale Einwanderer und viel weniger Probleme als bei euch in Deutschland.“
Auch Aymen ist vor drei Wochen legal eingereist. Da hatte er die Arbeitserlaubnis und den Vertrag mit einer Gießerei schon in der Tasche. Jetzt sitzt der Tunesier hier in Thetford Mines, einem Kaff mitten in Kanada. „Acht Stunden lang bin ich geflogen. Bei plus zwanzig Grad bin ich in den Flieger gestiegen, bei minus zwanzig wieder aus.“ Seine Sonntage verbingt er seitdem hier in dem kleinen Café in einer Mall an der Hauptstraße, an der entlang sich die alten Bekannten Mc Donalds, Tim Hortons, Shell und Comfort Inn reihen.
Ein Grund dafür, dass Aymen den Job hier in der französischsprachigen Provinz Québec bekommen hat: Als Tunesier spricht er die Sprache fließend. Dafür ist sein Englisch ein wenig schwerfällig. Immer wieder tippt er ganze Sätze auf französisch in sein Smartphone und ich warte auf die übersetzte Version, die das Gerät wenig später ausspuckt.
Es wird ein wahrhaft feministischer Nachmittag mit diesem Muslimen. Er kennt nur ein einziges englisches Personalpronomen: „she“. Er erzählt von seinem Bruder: „She“ arbeite in Ruanda als Handelsvertreter für tunesische Solarpaneele. „She“, sein Vater, habe in den 70igern bei Volkswagen in Wolfsburg gearbeitet. „She“, sein neuer Chef, scheine in Ordnung zu sein. Für die ersten Wochen stellt ihm die Firma ein Zimmer und ein Auto zur Verfügung.
Lange sitzen wir im Café und irgendwann bestelle ich mir eine Suppe. „Isst Du nichts?“, frage ich Aymen. Er schüttelt den Kopf. „Ich esse hier nicht so gerne in Restaurants.“ Vor kurzem hat er Poutine probiert, Québecs Nationagericht: Pommes mit Bratensoße darüber und einer Art Frischkäseflocken dazwischen. „Die Kanadier können nicht kochen.“ Dann erzählt er, was ihm in Frankreich geschmeckt hat, wo er zwei Jahre lang gelebt hat: „Kuchen!“, fällt ihm ein. Oh, diese Bäckereien dort! Und Ente.“
Hier in Kanada isst er
kein Fleisch, es gibt keinen Laden im Umkreis, wo er es „ halal“ bekommen
könnte. Außer ihm leben noch rund vierzig andere Tunesier im Umkreis, die
nächste Moschee ist gut dreißig Kilometer entfernt. „Aber ich gehe sowieso
nicht in die Kirche“, meint Aymen. „Mir ist es auch egal, an was andere
Menschen glauben. Wichtiger finde ich, was die Person sonst noch so ausmacht.
Bei uns in Tunesien leben Leute aller Religionen friedlich zusammen, die
Moslems, die Christen, die… Juifs“ Er sucht das englische Wort. Ich helfe ihm.
„Genau, die Juden.“ Dann zeigt er mir einen Wikipedia-Eintrag zu einer der
berühmtetsten Synagogen des Landes, der el-Ghriba-Synagoge auf Djerba. Ich
überfliege den Artikel. „Vollkommen friedlich, ne? 2002 hat da ein Terrorist 19
Gläubige gekillt! Steht hier.“
„Naja, ihr hattet ja auch schon mal einen Zusammenstoß mit den Juden, stimmts?“
kontert er. „Waren ja noch ein paar, die damals ums Leben gekommen sind.“
„Good Point“, gebe ich zu.
„Schwarze Schafe gibt es überall.“ Aymen erzählt von seinem ersten Barbesuch am
vergangenen Freitag. „Da war jemand, der mochte mich nicht, wegen meiner
Hautfarbe . Er hat versucht, mich zu provozieren.“
„Wie hast Du reagiert?“
„Hmm. Es hat mich nicht weiter gestört. Im schlimmsten Fall hätte ich die
Polizei gerufen. Ich war im Recht. Ich darf hier sein. Ich habe einen Vertrag
und ein Visum. Ich bin kein Marsmensch, ich bin auch vom Planeten Erde. Ich
darf hier leben.“