Weihnachtsbäume und Dobermänner

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Ich lasse mich am Pickup herunter, halte mich fest, taste mit den Füßen im Schnee. Unter der weißen Schicht liegt Eis. Ich strecke die Arme aus, laufe zum Gatter und öffne es. Pete fährt hindurch, dann wartet er, bis ich wieder zu ihm geklettert bin.

Wer von der Straße aus zum Haus von Barbara und Tim kommen will, der fährt einige Meter einen schneebedeckten Hügel hinauf, bis er vor ihrer Garage ankommt. Hinter der blauen Holzvilla stehen Weihnachtsbäume in einem Wald zusammen, der kein Ende zu haben scheint.

„Die verkaufen sie drüben in Boston. Weil der amerikanische Dollar so stark ist, ist das Geschäft dort rentabler als hier“, hat Pete mir vorhin im Wagen erklärt.

Mit dem Scheemobil durch die Parklandschaft

Wieder einmal hilft mir das Couchsurfing weiter. Pete ist ein Bekannter meiner letzten Gastgeber und nimmt mich heute mit von Montréal nach Thetford Mines, meinem nächsten Ziel. „Wenn es Dir nichts ausmacht, dass wir bei Freunden übernachten…“ Tim und Barbara also. Eigentlich arbeitet er als Immobilienmakler, sie als Psychologin. Aber wer sein Grundstück in Kanada als Farm ausweisen kann, zahlt weniger Steuern. Da kam ihnen die Idee mit den Weihnachtsbäumen.  

Später leihen wir uns Tims Schneemobil aus und machen eine Spritztour durch die Weihnachtsbaumparklandschaft. Über die sanften Hügel spannt der blaue Winterhimmel einen weiten Bogen. Wir drehen Runde um Runde. Wenn Pete Gas gibt, springt der Schlitten über Bodenwellen und ich hüpfe hoch. Wir sind eingepackt wie Motorradfahrer, manchmal erreichen wir bis zu 80 Stundenkilometer. „Das ist gar nichts. Die Dinger fahren bis zu 120. Willst Du auch mal?“ Er gibt den Sitz frei, rutscht nach hinten. An beiden Lenkern gibt es einen Hebel – wie beim Fahrrad: Einen für Gas, einen zum Bremsen. Ich fühle mich sicher, auf den Geraden bin ich schnell. Nur die Kurven sind nicht einfach zu nehmen, in einer fahre ich fast in den Zaun; es ist schwer, das Schneemobil zu lenken. Irgendwann bleibe ich stehen. Pete zieht ein Zigarettenpäckchen aus der Jackentasche und schaut auf das Haus, das nun etwas unterhalb von uns gelegen ist. „Früher stand es da drüben.“ Er streckt den Arm aus und zeigt auf eine Stelle recht nah an der Straße. „Sie haben es mit einem Kran umgehoben.“  

Als wir zurückkehren, erwarten uns Tim und Barbara im größten Raum des Hauses, der Küche, Wohn- und Esszimmer in einem ist. Die Szene ist surreal. Während wir beim Kaffee an der Granitplatte des Küchentresens zusammensitzen, huscht im Hintergrund eine Zwanzigjährige zwischen dem schweren Esstisch und Ledersofas umher. Jenny. Die Dogsitterin scheint nur eine Aufgabe zu haben: sich um zwei schwarze Dobermänner zu kümmern, Nico und Argus. Sie springt auf, wenn einer der beiden winselt, rückt den Stützverband von Nico zurecht, füllt die Näpfe auf, ruft: „Argus, DON´T!!!“, als er bei uns um Essen anbettelt. Es sind freundliche Hunde. Sie knurren nur, wenn man aufhört, sie zu streicheln.

Wenig später verschwindet das Dreiergespann und wir können sie durch die großen Panoramafenster auf ihrem Spaziergang beobachten. Die Hunde staksen langbeinig durch den Schnee, eingepackt in orangefarbene Regenjacken. „Das Mädchen wohnt seit kurzem bei uns“, berichtet die Hausherrin. „Sie putzt auch, aber dafür bezahle ich sie extra.“ Es ist ihr wichtig zu, das zu betonen, die letzten Wörter sagt sie mit Nachdruck.

Frauengespräche

Später habe ich Gelegenheit, meine Gastgeberin besser kennen zu lernen. Die Männer sind in die Stadt gefahren, das klassische Frauengespräch beginnt. Neun Jahre habe sie ihren jetzigen Mann gekannt, bevor sie ihn geheiratet hat, erzählt sie. „Naja, so richtig zusammen waren wir nur im letzten Jahr. Davor waren wir… befreundet. Jeder konnte machen, was er will. Verstehst Du?“ Ich nicke. „Das war in den 70igern. Wir haben vor der Hochzeit nie zusammengewohnt, die ersten Jahre unserer Ehe waren schwierig.“ Trotzdem seid ihr immer noch zusammen, denke ich. Respekt.

Ich betrachte sie. „Ich könnte Deine Mutter sein“, hat sie vor ein paar Minuten festgestellt. „Stimmt“, habe ich erwidert. Einen Arm hat sie lässig auf der Rückenlehne ihres Stuhls abgelegt, die schlanken Finger hängen locker herunter. Sie sieht so aus, als habe sie mindestens ein Lifting hinter sich. Unter der straffen Haut heben sich hohe Wangenknochen ab, ihre blauen Augen umgibt ein getuschter Wimpernkranz. Sie scheint ein Faible für Perlen und Diamanten zu haben.

Und dann bin ich an der Reihe. Pete hatte mich vorgewarnt: „Sie fragt mich immer aus – wie es mit den Mädels aussieht und so“, hatte er gesagt. Ihn hat sie an diesem Tag schon in die Zange genommen, jetzt bin ich dran: „Wie alt bist Du? Hast Du Geschwister? Älteste oder Jüngste? Willst Du Kinder? Was denken Deine Eltern darüber, dass Du reist und keine bekommst? (Eine Frage, die mir oft gestellt wird.) Hast Du einen Partner?“ Die Fragen kommen im Sekundentakt. Es fühlt sich ein wenig wie ein Verhör an, aber die 65-Jährige scheint mir durchaus freundlich gesinnt zu sein, scheint nicht zu verurteilen, auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, dass sie mich analysiert. Barbara lässt sich die Geschichte von dem Containerboot erzählen, von meiner Zeit in Neuseeland. Als ich später auf die Frage, wie ich meinen Kaffee möchte antworte, dass ich ihn gerne stark hätte, sagt sie: „I thought so – dachte ich mir.“ Was auch immer das heißen mag…

Zwiebeln und Maniküre

Am nächsten Morgen gibt es Eier mit Speck. Die Hausherrin selbst bereitet sie zu. Fasziniert beobachte ich, wie sie das Küchenmesser in einer Zwiebel versenkt, ohne die rosa lackierten Krallen zu treffen. Ich würde gerne helfen, doch es gibt nichts zu tun. Dogsitterin Jenny hat die Hunde sich selbst überlassen. Sie weicht ihrer Chefin nicht von der Stelle, toastet Brot, deckt den Tisch. Als wir uns schließlich an den Küchentresen setzen, zieht sie sich mit ihrem Teller an einen Tisch zurück.

Barbare beginnt, von ihren Reisen zu erzählen, dann lenkt sie das Gespräh zurück auf ihre Lieblingsthema – ihre Hunde. Tim zieht sein Smartphone aus der Hosentasche und lässt ein Video abspielen: In einem überdimensionierten mit Wasser gefüllten Aquarium läuft Nico auf einem Laufband, überwacht von einer Physiotherapeutin.
20.000 Dollar veranschlagt das Paar jährlich für die beiden Tiere. Manchmal ist diese Summe bereits nach einem halben Jahr weg. „Es fehlt ihnen an nichts“, sagt Barbara. Wenn einer der Dobermänner krank wird, fahren sie mit ihm kreuz und quer durch Kanada und die USA, suchen die besten Ärzte auf.

Doch es hilft alles nichts; als es dunkel wird, müssen sie ihre Lieblinge für ein paar Stunden alleine lassen. Man ist zum Dinner mit Freunden verabredet. Im Herbst wollen sie gemeinsam mit ihen nach Afrika fahren, heute ist Lagebesprechung. Tim zieht seinen schwarzen Wollmantel an, Barbara legt sich einen Schal um, der Motor eines Audi TT springt an, das Tor der Doppelgarage surrt noch einen Moment. Dann ist es still im Haus. Im Flur hängt noch kurz der Duft eines teuren Frauenparfüms. Draußen fällt Schnee.

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