„Nicht!“, ruft Jerome und ich nehme das Kätzchen vom Tisch, das ich gerade dort abgesetzt habe. Mein Gastgeber hier in Thetford Mines ist, wie alle Kanadier, fürchterlich nett und zuvorkommend. Für diesen Bruchteil einer Sekunde jedoch hätte er fast die Fassung verloren. Witzig, denke ich. Eben hat er mir noch erzählt, wie er als Teenager Motocrossrennen in der Asbesthalde gefahren ist, jetzt er hat Angst vor Katzenhaaren im Essen.
Und dennoch. Bei Alex und Jerome anzukommen, fühlt sich nach einem sehr sehr langen Tag an, wie in einem Märchen anzukommen. In einem Wintermärchen. Nachdem Jerome mich in seinem nagelneuen schwarzglänzenden Geländewagen mitten in der Nacht, nach seiner Schicht im Krankenhaus bei Mc Donald´s eingesammelt hat, mussten wir noch 15 Minuten mit dem Auto fahren. Es war wie eine Schlittenfahrt durch eine Schneekugel. Vorbei ging es an tief eingeschneiten Holzhäusern. Irgendwann wurden sie abgelöst von einem dichten Wald bestehend aus Tannen, die sich gut als Weihnachtsbäume vor den Regierungsgebäuden dieser Welt machen würden. Als mein Gastgeber endlich stehen bleibt, sehe ich kein Haus. Am Straßenrand ist ein rotes Auto geparkt, dahinter türmen sich Schneehalden auf und ich erkenne eine dunkle Frauengestalt, die sich im scharfen Kontrast von all dem Weiß um uns herum abhebt. Sie schiebt eine Art Rasenmäher vor sich her, der in hohem Bogen Schnee zur Seite spuckt. Sie winkt, als sie mich sieht und lacht. Ich folge ihr zu Fuß über den Pfad, den sie für uns frei pflügt, dann stehe ich vor einem hell erleuchteten Holzhaus. Mitten im Wald.

Und als wäre das nicht genug, schießt, kaum, dass ich eingetreten bin, eine Art Schneekugel auf mich zu, ein wenige Zentimeter großes Katzenkind mit weißem Fell und schwarzen Pfoten. Es lehrt mich, wie schnell Katzenkinder sein können. Ich muss fünf Bilder schießen, um es einmal zu erwischen. Auf allen anderen Fotos sieht man ein Schwanz, ein Ohr, den leeren Holzfußboden…
Von da an habe ich drei neue Freunde in Thetford Mines.

Lange kann ich nicht bleiben, ich muss weiter, aber wir verbringen immerhin einen Vormittag miteinander – Alex und Jerome machen es sich mit Biscuit auf dem Sofa bequem, ich versinke in einem Sessel mit Blick in den verschneiten Wald draußen. Hinter den beiden erhebt sich eine Glasfront bis hinauf zum Dachgiebel. Im Garten stehen die Tannen, umstoben von umherwirbelnden Schneeflocken. Vor einer Sprossentür steht ein Schaukelstuhl, darauf ein Korb mit selbstgestrickten Hausschuhen. Es ist urgemütlich. Wer hätte gedacht, dass es sich in einer Stadt, in der einst Asbest abgebaut wurde, so gut leben lässt. „Nein“, sagen sie. In ihrem Krankenhaus hätten sie nur sehr selten mit Asbestkranken zu tun. Beide haben einen Beruf, den es so in Deutschland nicht gibt: Sie sind nicht Krankenpfleger und auch keine Ärzte, sie sind irgendetwas dazwischen – mit mehr Verantwortung als ein Pfleger und weniger als ein Mediziner sie hat. „Besonders viele Lungenkranke haben wir nicht und wenn, dann sind das oft Raucher“, sagen sie.
Am nächsten Tag geht es in der Frühe weiter. Gerade geht die Sonne auf, als ich in der Ferne die schneebdeckten Asbesthalden der Mine erblicke. Sie leuchten zartrosa vor dem Morgenhimmel. So schön kann der Tod sein.
