Es ist kurz nach zehn Uhr. Ich sitze in der Lobby der „Auberge Jean Paul“ im alten Hafen von Montréal, trinke Kaffee, esse Toast und plaudere über Füße und Orgasmen. Ich weiß nicht, wie es so schnell so weit kommen konnte. Eben haben sich Gabriel und ich uns noch über – ja, über was eigentlich? Ich glaube, über sein Deutsch unterhalten. Das war überhaupt der Grund, warum ich mich zu ihm gesetzt habe. Eigentlich wollte ich mich an diesem Morgen in eine ruhige Ecke setzen und an meinem Blog weiterarbeiten. Doch dann habe ich mich aus freien Stücken zu dem 24-Jährigen gesetzt. Das war, als ich hörte, dass er fast fließend meine Sprache spricht, obwohl er, auch das hörte ich, nicht aus Deutschland kommt. Das machte mich neugierig.
Das Gespräch mit ihm ist intensiv. Da sitzt dieser junge Kerl und sagt Sätze wie: „Ich war vielleicht mal Sokrates.“ Er glaubt an die Reinkarnation und daran, dass er das gesammelte Wissen der Wesen, die er in den vergangenen Jahrhunderten gewesen ist, nun in sich vereint. „Deswegen fällt es mir so leicht, zu lernen“, ist er überzeugt. „Das Wissen war schon da, ich musste es nur reaktivieren. In Wahrheit bin ich uralt.“
Und keine zehn Minuten später, ich bin noch nicht ganz wach, höre ich diesen Satz: „Sie hatte sogar einen Orgasmus davon.“ Jetzt bin ich wach. Worum ging es noch mal? Um deutsche Wörter glaube ich, ihre Bedeutungen und Nebenbedeutungen. Gabriel sagte plötzlich: „Mir gefällt das Wort Fetischismus nicht. Es hat so eine negative Nebenbedeutung. Ich bevorzuge das Wort passion, das ist die englische Bezeichnung.“ Ich zum Beispiel, fuhr er fort, „habe a passion for Damenfüße. Viele Menschen finden das komisch, doch ich frage mich: Why? Das ist doch wirklich ein harmlose Sache, so eine Fuß. Er ist noch nicht mal eine Körperteil sexuelle.“ Dann erklärte mir Gabriel, was er mit Frauenfüßen am liebsten anstellt: „Ich sehe sie sehr gerne an.“ – Schnell ziehe ich die eigenen Füße zu mir heran. – „Aber noch lieber“, fährt mein Gegenüber fort, „habe ich es, wenn sie in meinem Schoß liegen und ich sie massieren darf. Ich lutsche auch an den Zehen. Manchen Frauen finden das furchtbar, aber die Damen, die sich darauf einlassen, haben mindestens so viel Spaß wie ich dabei.“ Und dan kommt der Satz mit dem „Orgasmus“.
Ich schaue in Gabriels junges Gesicht. Unter den Augenbrauenbögen liegen grüne Katzenaugen, darunter die Andeutung einer Adlernase; dunkelbraune Locken als Haarkrone, als das i-Tüpfelchen seiner Gesamterscheinung. Alles wirkt wie mit Bronze überzogen. Er ist der Typ Mann, der so gut aussieht, dass man ihm sogar so gewöhnungbedürftige Dinge wie einen Fetisch verzeiht, ja ihn auf einmal sogar gut findet, ihn auch ausprobieren möchte, wie den Joghurt in der Werbung, den man sich nie kaufen würde, aber weil dieser schöne Mensch auf dem weißen Sofa mit dem silbernen Löffel im Mund ihn doch offensichtlich so genießt!!!
Und dann bietet mir Gabriel eine Massage an…