Darf man in Zeiten von Corona glücklich sein? Ich habe heute erfahren, das eine Zeitung (eine von denen, die sogar besser bezahlt) einen Artikel veröffentlicht hat, den ich schon aufgegeben hatte. Ich hatte ihn, wie alle anderen auch, über den von mir selbst erstellten Verteiler mit rund 200 Mailadressen verschickt. Niemand hatte reagiert, noch nicht mal meine „Hauszeitung“, der Mannheimer Morgen, bei der ich einst volontiert habe und zu der ich den engsten Kontakt pflege.
Und nun also das: Wie die Kanadier mit dem Klimawandel umgehen, war am 17. März in der Rheinischen Post zu lesen.

„Und was willst Du da?“, hatte mich mein Vater gefragt, auf einem Spaziergang wenige Wochen vor meiner Abreise nach Kanada. Mal wieder hatte ich mich in den Monaten davor aus meinem Angestelltenverhältnis gerissen. Mal wieder hatte meine Wohnung untervermietet. Mal wieder würde ich ein Jahr lang nur den Minimalbetrag in die Rentenkasse einzahlen. Mal wieder hatte ich mich entwurzelt wie ein Sturm eine Eiche. Noch immer waren kein Mann, keine Schwangerschaft, kein Hauskauf in Sicht. Und das mit 35 Jahren!

Als ich meinen Eltern die Entscheidung mitteilte, nach Kanada zu gehen, hatten sie nicht geklagt. Aber die Last dieser Botschaft, lag, das konnte ich deutlich sprüen, schwer auf ihren Schultern. Sie knirrschten so tief mit den Zähnen, dass es auf einer für mich nicht hörbaren Frequenz passierte.

Und dann dieses „Und was willst Du in Kanada?“ Nur ein Satz. Mein Vater ist kein Mann vieler Worte, aber was er sagt, das sitzt, hat Hand und Fuß. Spracheffizienz könnte man das nennen.

„Was willst du in Kanada?“

Ich verstand sofort, alle Ebenen. Alles, was dieser Satz noch transportierte. Diese Frage war kein Vorwurf. So ist mein Vater nicht. Sie bedeutete viemehr aufrichtig neugieriges Unverständnis. Sein Lieblingssatz, wenn wir als Kinder maulten, dass es im Urlaub mal wieder an die Ostsee ging und nicht in die USA, war: „Solange wir das Elbsandsteingebirge nicht gesehen haben, müssen wir auch nicht ins Ausland fahren.“

Jetzt, da ich diese Erinnerungen aufschreibe, fällt mir auf, dass wir in all den Ferien nie in Sachsen herumgekraxelt sind. Ganz offensichtlich ein Trick von ihm! Bis heute ist mein Vater am liebsten in Deutschland unterwegs. Mit dem Auto, mit dem Zug – ganz egal, Hauptsache er ist in seiner Heimat und muss in keinen Flieger steigen. Gelingt es meiner Mutter dennoch, ihn von Zeit zu Zeit zu einem Urlaub in der Ferne zu überreden, wird er krank. Richtig physisch krank. Sein Körper ist der treue Komplize seiner Seele. Mittlerweile hat es sie deswegen auch aufgegeben – und fährt mit ihm jetzt alleine an die Ostsee.

Dass es Corona nun unmöglich macht, zu reisen, egal ob fern oder nah, stört ihn nicht im Geringsten. Endlich darf er in seinem Sessel sitzen bleiben und sich durch die Bücherwand lesen.

Aber ich schweife ab. Was ich sagen möchte, ist, dass mein Vater Fernweh weder kennt noch dieses beißende, manchmal sehr schmerzhafte Gefühl nachvollziehen kann. Und da mir das alles klar war, vor über einem Jahr, kurz vor der Abreise, verstand ich auch seine Frage – dass sie sein Unverständnis ausdrückte. Doch nicht missbilligendes Unverständnis, sondern vielmehr simples nicht Nachvollziehenkönnen, gemischt mit ein wenig Neugierde. Doch da war noch eine weitere Ebene. Er wollte ebenfalls wissen, auch das bemerkte ich: Und was versprichst Du Dir davon? Was wird danach?

Doch so vielschichtig seine Frage war, so armselig war meine Antwort: „Also, ich will mir natürlich das Land ansehen, ich weiß ja praktisch gar nichts darüber. Und deswegen will ich auch die Einheimischen kennen lernen. Dann möchte ich arbeiten – wie damals schon in Neuseeland. Vielleicht wieder als Kellnerin, auf jeden Fall mal auf einer Farm.“

Es waren alles Allgemeinplätze, die ich ihm da anbot, meine Sätze klangen lau, meine Stimme schwach. Die Wahrheit war: Ich konnte die Frage in ihrer ganzen Dimension nicht beantworten. Weil ich die Antwort nicht kannte.

Dass ich regelmäßig Artikel schreiben würde, die tatsächlich auch in Zeitungen erscheinen – ich hätte es nicht zu träumen gewagt. Dass ich dermaßen intensiv verstehe und entdecke, dass das Schreiben – über wirklich interessante Themen – so wichtig für mich ist, dass ich und die Sprache – zu Papier gebracht – eins sind, habe ich nicht erwartet. Und das, obwohl ich schon immer Journalistin war. Journalistin im Tiefschlaf, für eine Weile begraben unter belanglosen PR Jobs.

Aber, Papa, was wird danach? Das Schreiben.

Kanadas neues Klima – Rheinische Post

One Reply to “Was wird danach?”

  1. Sehr spannend! Ich erkenne darin Teile meiner Familie wieder. Die nur zwischen Bayern und Ostsee pendeln und damit vollkommen glücklich sind. Sie verstehen dieses seelenzerreißende Gefühl und die Neugier auf neue Kulturen, das „Leben anderer“, die Landschaften und die Sehnsucht nach neuen Erfahrungen und Grenzerfahrungen nicht. Irgendwie verpassen sie damit etwas Großes. Aber dann wiederum sind sie ja auch glücklich. Und am Ende zählt aus meiner Sicht nur das: Dass jeder für sich glücklich ist. Egal ob als rasende Reporterin um die Welt oder hinter seiner Bücherwand.
    Liebe Grüße,
    Sarah

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